Doppelgeschäftsführungen: Dolose Delikatessen

Doppelgeschäftsführungen sind prinzipiell sinnvoll. Missbrauch aber lässt sich durch sie nicht verhindern: Es kommt immer auf die Integrität der handelnden Personen an. Beitrag für eine Zeitschrift, der dann doch nicht publiziert wurde – quasi  als Geschenk für Wilfried Seipel zu dessen 70. Geburtstag im Juni 2014.  

Das hatte es in der knapp 240-jährigen Geschichte des ehemaligen Hoftheaters noch nie gegeben: Im März 2014, drei Monate nach Vizedirektorin Silvia Stantejsky, die als Geschäftsführerin recht „kreativ“ agiert hatte, wurde auch Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann fristlos entlassen. Sich auf die Position des Narren zurückzuziehen, hatte ihm nicht geholfen: Als künstlerischer Geschäftsführer war er eben auch für die Gebarung mitverantwortlich.

Seither wird viel gerätselt: Frisierte Stantejsky die Bilanzen im Auftrag – beispielsweise der Bundestheaterholding? Bereicherte sie sich? Wusste Hartmann von den „dolosen“, also strafrechtlich relevanten Handlungen? War er gar Teil des „Systems Stantejsky“, weil er Honorare von der Geschäftsführerin verwalten ließ und nicht versteuerte? Beantwortet werden können die Fragen erst vom Rechnungshof, der das Burgtheater prüfen soll, beziehungsweise von der Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Offensichtlich ist nur, dass selbst das gelobte Vieraugenprinzip keine Malversationen zu verhindern vermag. Warum dann überhaupt Doppelgeschäftsführungen in Kulturbetrieben? Wilfried Seipel, mächtiger Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums von 1990 bis 2008, hatte sich viele Jahre erfolgreich gegen einen Co-Geschäftsführer gewehrt. Sein mitunter diktatorisches Agieren ist auch die Antwort auf das Warum.

Vor etwa zwölf Jahren quittierte die Oberbuchhalterin des KHM den Dienst, weil sie keine Bilanztricks mehr vornehmen wollte, und informierte den Rechnungshof. Im Frühjahr 2004 lieferte der RH seinen Rohbericht aus. Jede der knapp 90 Seiten war, wie die Prüfer meinten, „eine Delikatesse“. Denn Seipel hatte sich Eigenmächtigkeiten sonderzahl geleistet: Er verlieh die „Malkunst“ von Vermeer wiederholt ins Ausland, obwohl die Restaurierwerkstätte Einspruch erhoben hatte, er kaufte vom KHM zwei inventarisierte Uschebtis an, obwohl das Museum Sammlungsgut nicht veräußern darf. Und so weiter.

Besonders pikant war die Erwerbung einer Sphinx von einem Händler auf Mallorca, der auch Hemden, Pizzas und Waren aller Art feilbot. In der Argumentationsnot gab das KHM bekannt, dass die Sphinx, in einem Münchner Flughafenhotelzimmer besichtigt, „immer in Deutschland gelagert“ worden sei. Diese Behauptung machte nochmals stutziger.

Aber auch wirtschaftlich lag vieles im Argen. Der Rechnungshof hatte die Überführung des zuvor nur teilrechtsfähigen Museums in eine wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts mit 1. Jänner 1999 durchleuchtet. Das Resümee: „Weder die Eröffnungsbilanz noch der jeweilige Jahresabschluss des KHM für 1999 bis 2002 noch die diesbezüglichen Buchungen“ entsprachen den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchhaltung und Bilanzierung.

Seipel hatte die Autonomie bereits 1994 gefordert. Er formulierte den Text der entsprechenden Gesetzesvorlage mit und übernahm nur all zu gern die Vorreiterrolle: Das im Mai 1998 beschlossene Gesetz nannte man „Lex Seipel“. Die meisten anderen Museumsdirektoren aber waren skeptisch. Sie mutmaßten, dass die Vollrechtsfähigkeit vor allem dem KHM dienen sollte, das die meisten Besucher hatte. Und der Rechnungshof warnte davor, die Geschäftsführung einer derart großen Anstalt lediglich einem Geschäftsführer zu überlassen, der noch dazu über keine Kenntnisse im kaufmännischen Bereich verfügt, und sprach sich für das Vieraugenprinzip aus. Seipel hielt dagegen, dass er seit acht Jahren Generaldirektor ist. Ein zweiter Geschäftsführer sei daher nicht notwendig.

Praktisch zur gleichen Zeit, mit Beginn der Saison 1999/2000, wurden auch die Bundestheater ausgegliedert. Der damalige Kunststaatssekretär Peter Wittmann (SPÖ) wählte nicht das Modell der Anstalt, sondern jenes der GmbH. Jede Bühnengesellschaft sollte einen kaufmännischen und einen künstlerischen Geschäftsführer erhalten. Kulturministerin Eliabeth Gehrer (ÖVP) musste auf Druck der Sozialdemokraten den Gesetzestext für die Museen ein klein wenig abändern: Die schließlich beschlossene Version erlaubt zumindest die Bestellung eines zweiten Geschäftsführers.

Erst später, mit 1. Jänner 2002, sollte das Museum moderner Kunst vollrechtsfähig werden. Direktor Lóránd Hegyi plädierte für einen Co-Geschäftsführer: Er hätte nur zu gerne die wirtschaftliche Verantwortung abgegeben. Doch wenn der KHM-Konzern von einer einzigen Person geleitet werden kann, dann konnte ein kleines Museum nicht zwei Geschäftsführer haben: Hegyis Bitte wurde abschlägig beurteilt. Zu einer Vertragsverlängerung kam es daher nicht, es folgte Edelbert Köb nach.

Das Seipel-ergebene Ministerium blieb der Maxime treu, dass zwei Direktoren weit mehr Geld kosten würden. Noch Ende Februar 2005 hieß es: „Bei einem Geschäftsführer ist die Verantwortung vollkommen klar. Zudem gibt es weniger Reibungsverluste.“ Doch dann, im Mai 2005, lag der desaströse Endbericht über das KHM vor. Gehrer konnte nicht länger die schützende Hand über Seipel halten: Sie kündigte an, dass alle Direktoren von Bundesmuseen mit einem Jahresumsatz von mehr als zehn Millionen Euro einen Co-Geschäftsführer erhalten würden. Von dieser Änderung wären neben Seipel u.a. auch die Direktoren der Albertina und des Technischen Museums betroffen gewesen.

Gehrer ließ sich lange Zeit: Erst im April 2007 trat Paul Frey seinen Job als Aufpasser von Seipel an. In der Museumsordnung wurde festgehalten, dass die beiden Geschäftsführer „grundsätzlich einvernehmlich“ vorgehen müssen; der wissenschaftliche Chef hat allerdings ein Dirimierungsrecht auch in kaufmännischen Angelegenheiten. Nun kam Ruhe in den Betrieb, Geburtstagsfeste für Staatssekretäre wurden nicht mehr ausgerichtet. Auch Peter Noever, dem Langzeitdirektor des Museums für angewandte Kunst, hätte eine Person, die ihn in seine Schranken weist, gut getan. Dann wäre sein Abgang 2011 nicht derart ruhmlos erfolgt.

Das Konzept mit zwei Geschäftsführern wurde nach der Ausgliederung der Bundesinstitutionen in vielen Museen umgesetzt – anfangs nicht immer zur Freude der amtierenden Direktoren. Im Land Niederösterreich, das seine Kulturbetriebe in der NÖ Kulturwirtschaft GesmbH (kurz Nöku) bündelte, fühlte sich manch Direktor anfangs in der Gestaltungsfreiheit beschnitten. Aber man fand sich damit ab: Realisiert wird nur, was wirtschaftlich vertretbar ist.

Peter Assmann hingegen, im Jahr 2000 zum Direktor der Oberösterreichischen Landesmuseen bestellt, zog die Konsequenz: Er trat mit 1. März 2013 zurück, weil er die von der Politik erzwungene Änderung in der Organisationsstruktur nicht akzeptieren konnte. Er wollte, wie er sagte, kein „Direktor ohne Pouvoir“ sein. Wenig später, im Mai 2013, übernahm Assmann die Leitung des Privatmuseums Angerlehner in Thalheim bei Wels, das kurz vor seiner Eröffnung stand. Doch er dürfte vom Regen in die Traufe gekommen sein: Bereits im Jänner 2014 gab der Unternehmer und Sammler Heinz J. Angerlehner bekannt, dass er sich einvernehmlich von Assmann getrennt hat. Nachfolger werde es keinen geben.

Im Zusammenhang mit seinem Rücktritt als Direktor hatte Assmann gemeint, dass es absurd sei, „die Verwaltung aufzublähen“. Dieses Argument ist – gerade in Zeiten von rollenden Sparmaßnahmen – nicht ganz von der Hand zu weisen. Zweifellos kommen Doppelgeschäftsführungen teurer: Seipel, der langjährige Spitzenverdiener im heimischen Kulturbetrieb, erhielt 2008 inklusive Abfertigung 357.900 Euro; seine Nachfolgerin Sabine Haag, seit Anfang 2009 Generaldirektorin, und Paul Frey kosteten 2012 zusammen 494.000 Euro. Das Leitungsduo der Salzburger Festspiele erhielt 485.900 Euro, jenes der Staatsoper 449.400 Euro. Das Gegenargument lautet aber, dass der kaufmännische Geschäftsführer sich sein Gehalt selbst verdiene – eben weil er genauer aufs Geld schaue. Einen schlagenden Beweis für diese These gibt es allerdings nicht.

So lange es diesen nicht gibt, wird sich bei den Bundesmuseen kaum etwas ändern: Entgegen der Ankündigung sind Klaus Albrecht Schröder (Albertina), Gabriele Zuna-Kratky (Technisches Museum) und Agnes Husslein (Belvedere) weiterhin Alleingeschäftsführer. Und nach wie vor leitet Johanna Rachinger die Österreichische Nationalbibliothek ohne einen geschäftsführenden Widerpart.

Von Misswirtschaft hat man bisher nichts vernommen. Die Genannten stehen auch nicht in Verdacht, Bücher frisieren zu wollen. Allerdings: Bis zum Jänner 2014 hätte man es auch nicht für möglich erachtet, dass Silvia Stantejsky, die herzliche Vizedirektorin des Burgtheaters, zu „dolosen“ Handlungen fähig gewesen sein könnte.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Das Vieraugenprinzip sollen Missbrauch verhindern. Ausschalten lässt er sich aber auch nicht mit gefinkelten Kontrollmechanismen. Es kommt eben auf die Integrität der handelnden Personen an.

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