Glanz und Elend in der “Presse”

Man traute kaum seinen Augen.

„Die Presse am Sonntag“ brachte am 14 Februar 2016 auf Seite 4 eine ganzseitige Reportage über die katastrophalen Zustände an der syrisch-türkischen Grenze: Die Flüchtlinge müssten bei Wintertemperaturen unter freiem Himmel schlafen. Als Titel wählte Autor Alfred Hackensberger ein Zitat von Nizar Abu Bakr, dem Manager des Flüchtlingslagers Bab Salama: „Wie kann die Welt diesem Elend zusehen?“ Ein entscheidendes Wort allerdings wurde – aus Platzmangel – ausgelassen. Es lautet „untätig“.

Dass die Welt diesem Elend untätig zusehen kann, bewies die gegenüberliegende Seite 5 der „Presse“: Ruefa und Hapag Lloyd machten eine Kreuzfahrt mit der „MS Europa 2“ schmackhaft.

Auf Seite 4 haben die Menschen kein Dach über dem Kopf – oder sie zwängen sich in die wenigen Zelte; auf Seite 5 erwartet die „maximal 500 Gäste“ ein „überlegenes Platzangebot“, es gebe „ausschließlich Suiten“. Auf Seite 4, in Kleinasien, reichen die Spaghetti- und Reisportionen nicht aus, um satt zu werden; auf Seite 5 stehen den 500 Gästen an Bord der „MS Europa 2“ sieben Gourmetrestaurants zur Verfügung – „alle ohne Aufpreis“.

Das Schlimmste aber ist die annähernd gleich große und ähnlich platzierte Bebilderung. Auf Seite 4 sieht man einen Buben, der eine Steige aus zerborstenem Plastik mit ein paar Habseligkeiten in Händen hält. Sein Blick ist ernst, er trägt einen Anorak, aber warm dürfte ihm kaum sein. Das Zeltlager im Hintergrund wirkt ziemlich unwirtlich. Der morastige Boden, unscharf, ähnelt Sand.

Er ähnelt dem Sand auf Seite 5. Man sieht eine fröhliche Schar Kinder, allesamt blond und als Piraten verkleidet. Mit einem schwarzen Schlauchboot – in Booten wie diesem versuchen sich Menschen aus Kriegsgebieten nach Europa zu retten – sind sie gerade auf einer einsamen Insel gelandet. Im Lager von Bab Salam ist das Wetter mies; hier aber lacht die Sonne.

Wie soll man dieses Aufeinanderprallen von Glanz und Elend bezeichnen? Zynisch? Menschenverachtend?

Beim „Kurier“ und beim „Standard“ ist das Anzeigengeschäft strikt von der Redaktion getrennt. Bei der „Presse“ wird es auch so sein. Die Redakteure wissen daher mitunter gar nicht, welche Inserate auf den Seiten, für die sie zuständig sind, erscheinen werden. Und so passiert es, dass zum Beispiel über einem Inserat des Impulstanz-Festivals eine Kritik über eine Impulstanz-Veranstaltung erscheint. Das kommt natürlich nicht gut. Denn der Leser, der Schelm, denkt sich vielleicht, dass die Kritik nicht unabsichtlich positiv ausgefallen sein könnte. Und so werden die Redakteure die betreffende Seite, wenn möglich, umbauen.

Der Zufall dürfte auch in diesem Fall eine Rolle haben. Die Redakteure entnahmen dem Blattspiegel vielleicht, dass auf Seite 5 ein Inserat von Ruefa erscheinen wird. Aber sie sahen das Sujet nicht. Doch irgendwann muss diese fatale Doppelseite der Schlussredaktion oder dem Chef vom Dienst aufgefallen sein. Und dann hätte man reagieren müssen.

Oder sollte man die Konfrontation gar mit Absicht herbeigeführt haben? Um dem Inserenten, also Ruefa, vor Augen zu führen, wie geschmacklos das Inserat ist?

Geschmacklos ist es wirklich. Wie kann man in Zeiten, in denen Millionen Menschen vor dem Krieg nach Europa fliehen müssen, ein riesiges Schiff „MS Europa 2“ nennen? Das Boot sei voll, heißt es immer wieder. Und dann gibt es auf dieser „MS Europa 2“ ein „überlegenes Platzangebot“ für „maximal 500 Gäste“.

Wie kann man in Zeiten, in denen Bilder eines ertrunkenen Kindes am Strand für Bestürzung sorgen, fröhliche Kinder zeigen, die wohlbehalten mit dem Schlauchboot an fremden Gestaden gelandet sind? Und wie kann man in diesem Bild – genau in der Mitte – eine Totenkopf-Fahne wehen lassen?

Am heftigsten aber sind die Überschriften. Denn die Frage auf Seite 4 – „Wie kann die Welt diesem Elend zusehen?“ – wird auf Seite 5 beantwortet: „Die große Freiheit: Ihren Kindern gehört die Welt.“

Ziemlich widerwärtig. Oder nicht?

Copyright: Thomas Trenkler 2016
Mit Dank an Reinhard für den Hinweis

Comments
3 Responses to “Glanz und Elend in der “Presse””
  1. wie kann man?
    diese frage wird noch lang keine Antwort bekommen..das Elend wird Täglich schlimmer

  2. Lieber Thomas,
    ja das ist wirklich abscheulich, wenn nicht menschenverachtend ! Du hast auf diese Zusammenstellung zu Recht aufmerksam gemacht, weil sie nicht in Ordnung ist! Kein Anzeigenzwang oder sonstwie geartetes Medienbusiness dieser Welt kann einen solcherart zusammengedruckten Irrsinn gutheissen. Mich ärgert zusätzlich, dass dies in der ‘Presse’ geschehen ist, als ob sich niemand wirklich ernsthaft darum kümmern würde, was später nebeneinander abgedruckt erscheint, Danke für diesen Hinweis aus der Welt der Meinungsmache, der hoffentlich nicht die Sichtbarmachung eines Trends ist. Merci und Gruß aus Saarbrücken!

  3. sehr sehr guter Artikel…… bin froh, dass du das so gut kannst……das Wesentliche herausarbeiten……
    danke

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