Rudolf Novak 1960 – 2016

Nachruf auf einen wunderbaren Kauz

Vor ein paar Tagen erhielt ich eine nüchterne Parte: „Rudolf Novak 1960 – 2016“. Vermerkt ist zwar, wann und wo die Bestattung stattfinden wird. Aber niemand, der um ihn trauert.

Und so möchte ich die Geschichte des Rudolf Novak erzählen. Bruchstückhaft. Denn auch ich kannte Rudolf Novak eigentlich nicht. Ich habe zwar mehr als ein Jahrzehnt mit ihm gemailt, ihn aber nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. Ich weiß nur: Er war ein außerordentlicher Mensch, hoch gebildet und mit einem sehr feinen Humor.

Es begann Ende 2004. Die niederösterreichische Kulturzeitschrift „morgen“, für die ich ab und an einen Beitrag verfasst hatte, wurde grundlegend modernisiert. Fortan war für die Produktion das Büro Meisinger, eine Agentur für Redaktion und Werbung in Wien, verantwortlich – und dort ein gewisser Mag. Rudolf Novak. Er fungierte quasi als Chef vom Dienst.

Ab 2005 fragte er regelmäßig per Mail an, ob ich diese oder jene Person interviewen könne. Nicht jeder Wunsch ließ sich erfüllen, aber die meisten. Mitunter machte auch ich Vorschläge. Zumeist aber war es wie bei „Drei Engel für Charlie“: Ich bekam einen Auftrag – und kannte den Auftraggeber nicht.

Von unserer Korrespondenz ist leider nicht viel erhalten geblieben. Die wenigen Mails aber, die überdauerten, geben doch einen Eindruck, wie gewählt und amüsant Rudolf Novak sich auszudrücken verstand.

Einmal, 2011, bat ich um mehr Platz für das Interview mit André Heller. Ich dürfte auch mit der herausragenden Qualität der Fotos von Rita Newman argumentiert haben. Er antwortete jedenfalls: „Nachdem meine Widerstandskraft ohnedies durch den abendlichen Genuss von Josef Lentschens Pinot gris erheblich geschwächt ist und Sie jetzt auch noch die Wunderwaffe Rita einsetzen, bleibt mir offenbar nichts übrig, als irgend jemand anderem eine Seite zu entwenden und dem Heller-Interview zuzuschlagen.“

Ein andermal erbat er ein Porträt eines Kulturmanagers: Er erwarte „kein Epos“, sondern sei „mit einem Epyllion vollauf zufrieden gestellt“. Auf Nachfrage erklärte er, es handle sich dabei um eine „kleine Eposform, die namentlich in hellenistischer Zeit sehr in Flor stand; in der römischen Literatur unter anderem von Catull mit virtuoser Meisterschaft gepflegt“.

Schon einmal war er in Bildungskarenz gegangen – „im eifrigen Streben nach mehr Gelehrtheit“ wollte er „etwas Lebenszeit schwerpunktmäßig der Beschäftigung mit schönen, aber materiell eher unergiebigen Dingen stiften“. Im Herbst 2014 folgte eine weitere Unterbrechung, dieses Mal nicht ganz freiwillig. Aber Rudolf Novak sah es positiv: Er werde bis 30. Juni 2015 karenziert sein und wolle „in dieser Zeit mein vor zwei Jahren begonnenes Spätberufenen-Studium der Klassischen Philologie beherzt vorantreiben. Es bereitet mir die Beschäftigung mit den verstorbenen Herren vom Schlage eines Euripides oder Ovid durchaus große Freude.“ Am „morgen“ werde er in dieser Zeit in der gewohnten Form mitarbeiten, denn „der zitierfrohe Lateiner weiß ja: ubi voluntas, ibi via!“

Anfang Jänner 2015 schrieb Rudolf Novak auf Nachfrage: „Meine Weihnachtszeit war ereignisarm, aber recht lektürereich (v. a. Vergil und französische Autoren des späten 19. Jhs.), insgesamt durchaus behaglich.“

Und so erschien regelmäßig alle zwei Monate ein neues Heft. Am 9. Oktober 2015 bat Rudolf Novak um ein Interview mit dem Historiker Stefan Karner, es wäre „ein absolutes Desideratum“. Am 22. Oktober lieferte ich den fertigen Text. Antwort bekam ich keine. Das war zwar untypisch. Aber ich machte dann drei Wochen Urlaub – und dachte nicht mehr darüber nach. Vielleicht hätte ich sollen.

Erst am 6. Jänner 2016 schrieb ich Rudolf Novak. Ich fragte nach seinem Befinden, wünschte ihm alles Gute und schlug ein Interview mit Joachim Rössl vor, der drei Jahrzehnte lang die Kulturpolitik in Niederösterreich geprägt hatte.

Drei Tage später erhielt ich ein Mail von Werner Meisinger, mit dem ich bisher nie zu tun hatte: „Sehr geehrter Herr Trenkler, ich habe die Feststellung so lang wie möglich hinausgeschoben, muss nun aber sagen, dass Rudi Novak recht langfristig ausfallen wird. Meine Traurigkeit über den gesundheitlichen Zustand des langjährigen Kollegen ist prioritär, trotzdem muss die Arbeit weitergehen.“ Er bat mich um ein Interview mit Joachim Rössl. Ich antwortete verdutzt: Ich hätte just Rössl vorgeschlagen, aber von Novak keine Antwort erhalten.

Werner Meisinger schrieb sogleich zurück. „Er antwortet seit Wochen nicht auf Mails und SMSs. Ich werde heute zu seiner Wohnung gehen und Nachschau halten, auch wenn ich weiß, dass er das nicht will.“

Am 11. Jänner 2016 kam ein weiteres Mail von Werner Meisinger: „Ich hatte leider keine Gelegenheit mehr, Ihre Grüße auszurichten. Rudi Novak ist verstorben. Viel mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Ich habe zur Nachschau die Polizei in seine Wohnung geschickt, die hat ihn tot aufgefunden. Mit traurigem Gruß, W. M.“

Ich bat ihn, mir mehr über Rudolf Novak, diesen wunderbaren Kauz, zu erzählen. Und Werner Meisinger schrieb: „Abgesehen von dem, was man bei der Zusammenarbeit mit einem Menschen und der einen oder anderen Veltlinervernichtung am Agentur-Küchentisch erfährt, wissen wir wenig über Rudi. Hat Lehramt in Latein und Geschichte studiert, ein halbes Jahr unterrichtet, dann ging ihm das Herumfahren zwischen den Schulen, an denen er jeweils ein paar Stunden zugeteilt war, auf die Nerven, die uninteressierten Schüler sowieso. Verdingte sich als Korrektor unter anderem bei der Autorevue im Verlag Orac, wo auch ich beschäftigt war und ihn – Moment, nachrechnen, vor ca. 30 Jahren – kennen lernte. Bei mir war er ca. 15 Jahre tätig. Offenbar gibt es keine Bezugspersonen. Das Standesamt hat mich informiert, dass ich die Sterbeurkunde abholen und das Begräbnis organisieren soll. Schon ziemlich furchtbar, wie dergleichen in der Mitte unserer Gesellschaft sein kann.“

Rudolf Novak hatte im September erfahren, an Krebs erkrankt zu sein. Das letzte Lebenszeichen erhielt Werner Meisinger am 14. Dezember. Vor der Wohnungstür lagen die Zeitungen ab dem Datum 28. Dezember. Es wurde seitens des Magistrats keine Anstrengungen unternommen, den Todeszeitpunkt einzugrenzen: Auf der Sterbeurkunde steht 10. Jänner 2016, 14.40 Uhr.

Vor ein paar Tagen erhielt ich die nüchterne Parte: „Rudolf Novak 1960 – 2016“. Vermerkt ist weiters: „Wir begleiten ihn auf seinem letzten Weg am 11. Februar, 9.30 Uhr, Wiener Zentralfriedhof, Halle 3, Eingang 3. Tor.“

Er ruhe in Frieden.

Copyright: Thomas Trenkler 2016

Comments
9 Responses to “Rudolf Novak 1960 – 2016”
  1. panzini@a1.net' Fritz Panzer sagt:

    Lieber Thomas,

    hat mich sehr berührt, Dein Text. Wie es eben ist: Gelegentlich hätte man jemanden, den es nicht mehr gibt, gerne besser kennen gelernt.

    In alter Verbundenheit
    Dein

    Fritz, der Panzer

  2. post@elisabeth-schoenherr.info' Elisabeth sagt:

    R.I.P. Mag. Rudolf Nowak! Im Übrigen ist es immer wieder erschütternd wie einsam Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft sein können. Außerdem ist es höchst bedenklich, wie sehr Menschen mit schrecklichen medizinischen Diagnosen allein gelassen werden.

  3. thomas.aistleitner@nets.at' Thomas Aistleitner sagt:

    Ich habe mehr als ein Jahrzehnt mit Rudi Novak zusammengearbeitet und kann die geschilderten Eindrücke nur bestätigen. Sehr, sehr schade! Danke für diesen Nachruf.

  4. karin.flunger@chello.at' Karin Flunger sagt:

    Vielen Dank für den Nachruf, Rudolf Novak war mir ein lieber Kollege vor nun doch schon etlichen Jahren, von dem ich viel lernen durfte.

  5. rita@newman.at' Rita Newman sagt:

    Lieber Thomas!

    Ich bedanke mich herzlich für Deine Worte, die so viele Parallelen mit meinem Erleben von Rudi Novak wachrufen und mich auch traurig stimmen. Auch ich habe seine witzigen Mails durchaus schätzen gerlernt. Nicht ganz so ausführlich wie die an Dich (“Liebe Rita, hier noch ein sachdienlicher Hinweis zum Eindringen ins Museum. lG, R.”), aber dafür kannte ich ihn aus 2-3 kurzen persönlichen Treffen.
    Ich möchte hier auf Rudis sehr schönen Text hinweisen, welchen er als Vorwort unseres schönen gemeinsamen Interview-Buches geschrieben hat. Erst da wurde mir klar, wie schreibgewandt er ist… Ich füge ihn unten bei und bin bestürzt, so wenig zu Lebzeiten erfahren haben zu wollen über jemanden, mit dem ich so viel Kontakt pflegte.
    Rita


    VORWORT

    Im Frühjahr 2005 veranstalteten die Donauuniversität Krems und die Zeitschrift „morgen“ eine recht prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema „Ist der Kulturjournalismus am Ende?“ Ich war damals frisch bestallter Chef vom Dienst des „morgen“ und hatte es übernommen, einen kompetenten Moderator dafür zu engagieren. Aus irgendwelchen Gründen entschlüpfte diese Aufgabe aber meinem Gedächtnis und kehrte erst wenige Tage vor der Veranstaltung dorthin zurück.
    Der Rat einer Kollegin, bei „Standard“-Redakteur Thomas Trenkler anzufragen, rettete mich aus der Malaise. Er beantwortete das demütige Mail des ihm unbekannten Supplikanten mit tröstender Liebenswürdigkeit, erteilte Zuspruch und Zusage und leitete die Diskussion mit der souveränsten denkbaren Grandezza.

    Dieses Nothelfertum bewahrte mich nicht nur vor einer Blamage von erhöhtem Schweregrad, sondern bildete auch den Auftakt zu einer kontinuierlichen, erbaulichen Zusammenarbeit. Thomas Trenklers Moderation in Krems war für mich der schöne Anlass, ihn zur regelmäßigen Mitarbeit als Interviewer für den „morgen“ einzuladen. Inzwischen hat er gut vierzig Gespräche für diese älteste noch erscheinende Kulturzeitschrift Österreichs geführt, und dabei ein außergewöhnliches Einfühlungsvermögen ebenso eindrucksvoll zur Geltung gebracht wie eine prachtvolle Begabung für den trockenen Humor und eine journalistische Hartnäckigkeit, die keinen Interviewpartner mit unverbindlichen Floskeln davonkommen lässt.
    Auch manches hübsche und unerahnte Detail hat er, den „morgen“-Lesern zur Freude, ans Licht geholt. Zum Beispiel, dass Hermann Nitsch schon Napoleon, Caesar, Shakespeare und Nietzsche war. Oder warum Michael Heltau von keinem Wienerlied die dritte Strophe singt.

    Ebenso lang wie Thomas Trenkler gehört auch Rita Newman zu Kreis der ständigen „morgen“-Mitarbeiter. Ich hatte sie einige Jahre zuvor durch die Arbeit an anderen Publikationen, vorwiegend touristischer Natur, kennen gelernt und war damals wie heute beeindruckt von der stilsicheren Kunstfertigkeit, mit der sie Menschen, Landschaften, aber auch einen Tafelspitz ins Bild zu setzten versteht.
    Die erste gemeinsam von ihr und Thomas Trenkler realisierte „morgen“-Geschichte begründete eine kongeniale Zusammenarbeit, die mittlerweile annähernd gewohnheitsrechtlichen Charakter bekommen hat und von den beiden auch in anderen Medien gepflegt wird.
    Ich freue mich, dass der Brandstätter Verlag dieses Florilegium in sein Programm aufgenommen hat, und nehme dies als sicheres Zeichen dafür, dass der qualitative Kulturjournalismus durchaus nicht am Ende ist.

    Rudolf Novak

  6. michaela@thoma-stammler.at' M. T.-S. sagt:

    Ich habe gemeinsam mit Rudi viele Nachtstunden bei verschiedenen Zeitschriften Korrektur gelesen, irgendwann haben sich unser Wege getrennt; er war der absolute Einzelgänger, auch nach intensivem Entspannungstrinken im Kollegenkreis ist man ihm nicht näher gekommen – er wollte das anscheinend nicht. Als Arbeitskollege war er phantastisch – gebildet, konzentriert, unbeschreiblich genau; mit ihm feiern – ein großer Spaß.

  7. thomas@frik.at' Thomas Frik sagt:

    Vielen Dank. Sie haben den Kauz sehr treffend beschrieben. Auch ich habe ihn während unserer 10jährigen Zusammenarbeit und Freundschaft für seinen Geist und Humor sehr geschätzt. Die Abende nach getaner Arbeit bleiben mir in Erinnerung – nunc est bibendum!

  8. michaela@thoma-stammler.at' M. T.-S. sagt:

    Noch ein kleiner Nachtrag: Rudi hat Germanistik und Geschichte studiert, er war ein begabter Altgermanist; ich durfte aus seinen Büchern lernen.

  9. Lieber Thomas; es ist genial, wie ich durch verschlungene Wege zu diesem Artikel über Herrn Mag.Rudolf Novak kam; so ein liebenswürdiges “Nachrufen” liest man selten. Danke für diese Lehrstunde für “Feingeistigkeit”

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