Michael Niavarani: “Im Saal mit 500 Leuten bin ich der größte Idiot”

Der Kabarettist, Schauspieler und Impresario Michael Niavarani über den Erfolg, das Sicherheitsdenken, seinen “Richard III.” und die innerliche Leere nach einer Premiere. Das Interview fand am 11. September 2014 statt und wurde in der Zeitschrift “morgen“, Heft 5/2014, veröffentlicht.

Gibt es eigentlich eine Technik in Schlagfertigkeit?

Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt. Ich glaube nicht, dass man das lernen kann. Schlagfertigkeit und die Gabe zum Improvisieren sind einem angeboren. Man ist schlagfertig – oder man ist es nicht.

Sie waren also schon in der Schulzeit der Spaßmacher?

Mit 13 oder 14 wurde ich an die Tafel gerufen, um einen Term zu lösen. Das konnte ich nicht. Stattdessen entschloss ich mich, Maxi Böhm nachzumachen, den ich am Tag zuvor in der „Pension Schöller“ gesehen hatte. Ich erntete fünf Lacher und ein Nichtgenügend. Leider war die emotionale Verbindung zwischen mir und den Lachern größer als zum Nichtgenügend. Ja, ich war schon eher der, der das Ganze nicht so ernst genommen hat. Obwohl ich gerne in die Schule gegangen bin. Ich hatte nur einen Fehler: Ich habe keinen Sinn darin gesehen, Dinge zu lernen, die mich nicht berührt haben. Ich wollte Biologie studieren, ich hab Latein wahnsinnig gern gehabt, daher war ich in diesen Fächern sehr gut. Da ist das Lernen fast automatisch gegangen. Aber Mathematik ist nicht gegangen. Physik und Chemie sind auch nicht gegangen. Dass ich in Physik nicht aufgepasst habe, bereue ich. Weil ich mich mittlerweile für Quantenphysik interessiere – und bemerke, wie viel mir an Grundlagen fehlt.

Aber am meisten haben Sie sich fürs Theaterspielen interessiert?

Ich hab‘ im Gymnasium eine Bühnenspielgruppe gegründet und mir antiquarisch sämtliche Werke von Nestroy gekauft. Das Geld borgte mir ein Schulfreund, weil ich mich nicht getraut hab‘, meinen Vater zu fragen. Im Sommer las ich alle 62 Stücke. Wir haben dann sehr viel Nestroy gespielt. Und bei einer Schulaufführung hat mich Christoph Wagner-Trenkwitz „entdeckt“.

Tatsächlich?

Er verbrachte den Abend mit einer Schauspielerin, in die er verliebt war. Sie hatte von ihrer Schwester, die mit mir in die Schule ging, gehört: „Da spielt einer Nestroy, das ist so lustig.“ Er dachte sich: „Oje!“ Denn er wollte in Ruhe der Dame flirten – und dann musste er sich diesen halben Perser anschauen. Aber die Aufführung hat ihm gefallen: Er fragte mich kurz danach, ob ich nicht bei einer freien Theatergruppe mitmachen möchte. Die erste Rolle war ein Möbelpacker im Stück „Die große Wut des Philipp Hotz“ von Max Frisch im Auersperg-Theater. Eine stumme Rolle. Ich hab’ sie auch die ganze Zeit stumm geprobt. Aber bei der Premiere hab’ so etwas gesagt wie: „Na, dann hau ma des Kramuri eben außi.“ Und ich hatte einen Lacher. Ich bin dann vor der Wahl gestanden: Soll ich jetzt noch zwei Jahre in die Schule – oder soll ich zum Theater gehen? Ich wurde gefragt, ob ich auch bei Thorton Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“ mitspielen will. Ich hab’ ich festgestellt: Doppelbelastung – Matura und Theaterspielen – geht nicht. Und entschied mich fürs Theater.

Wie reagierten Ihre Eltern?

Die haben mich gefragt, ob ich verrückt bin. Und ich hab’ gesagt: „Ja.“ Aber ich muss ihnen zugutehalten, dass sie mir das Theater nie ausgeredet haben. Sie wollten natürlich, dass ich aufs Reinhardt-Seminar gehe. Aber ich habe gesagt: „Nein, ich spiele schon! In einem Kellertheater im 15. Wiener Gemeindebezirk, wir haben 30 Sitzplätze.“ Die Sitzplätze waren auch jeden Tag da, die Zuschauer nicht. Oft saßen nur vier Leute im Publikum. Wir haben trotzdem fünf, sechs Jahre in diesem Kellertheater, dem Graumann Theater, gespielt. Ich wirkte in 32 Stücken mit.

Und haben eigentlich nichts verdient.

Genau. Wir haben alles selbst gemacht: Das Theater geputzt, die Karten aufgelegt und so weiter. Einmal hab’ auch in Baden gespielt, „Jakobowsky und der Oberst“. Ich war weder Jakobowsky, noch der Oberst, nicht einmal das Und. Ich war der ewige Jude und bin mit einem Priester auf einem Tandem gefahren. Ich hatte, glaube ich, zwei Sätze. Ich war trotzdem sehr stolz.

Wie kam dann der Erfolg?

Martin Flossmann hat mich im Graumann Theater gesehen. Weil Michael Mohapp, unser Direktor, im Kabarett Simpl mitgespielt hat. Flossmann fragte mich, ob ich eine Saison im Simpl spielen möchte. Ich dachte mir: Warum nicht? Das war 1989. Eine zweite Saison anzuhängen, lehnte ich aber ab: „Kabarett ist nicht so meins, ich möchte eher Theater spielen.“ Zwei, drei Jahre später rief mich Flossmann an. Ich hab‘ befürchtet: „Ach Gott, jetzt will er wieder, dass ich Kabarett spiele!“ Aber er fragte mich, ob ich nicht das Simpl übernehmen möchte. Denn er wusste, dass ich auch schrieb. Ich traf mich mit dem jetzigen Besitzer, Albert Schmidleitner, und wir haben das ausbaldowert. 1993, mit 25 Jahren, bin ich Simpl-Chef geworden.

War das nicht eine große Verantwortung? Denn es gab ein Ensemble – und keine Subventionen.

Das liegt vielleicht an der Jugend, dass man sich weniger scheißt. Ich dachte mir: Das wird schon irgendwie funktionieren. Die wirkliche Bürde war mir damals nicht so klar. Mir hat es Spaß gemacht, Sketches zu entwickeln. Mit Werner Sobotka und Leo Bauer haben wir die ersten Revuen gemacht.

Sie schreiben zwar noch immer mit Schmidleitner die Revuen. Aber Sie treten im Simpl eigentlich nicht mehr auf.

Ich bin für das Simpl so etwas Ähnliches wie das, was Königin Elizabeth II. für England ist: Ich repräsentiere und winke ein bissl. Aber regieren tut der Schmidleitner.

Was macht Ihren Erfolg aus? Weil Sie authentisch sind?

Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüsste, würde ich wahnsinnig nervös werden, weil ich Angst hätte, dass es eines Tages nicht mehr so sein könnte. Ich habe immer versucht, das Versprechen einzuhalten: „Ihr könnt Euch zweieinhalb Stunden amüsieren. Ich werde mir den Arsch aufreißen, damit es komisch ist.“ Vielleicht ist es dieses Versprechen, das den Erfolg ausmacht.

Sie bezeichnen sich gerne als faul. Aber Sie sind andauernd präsent – auf der Bühne, im Fernsehen mit „Was gibt es Neues?“ und im Kino. Sie schrieben mehrere Bücher, von 2011 bis 2013 waren Sie Intendant der Festspiele Berndorf. Sie scheinen eher ein Workaholic zu sein.

Nein, ich bin kein Workaholic. Ich mache viele unterschiedliche Dinge. Das erweckt nur den Eindruck, dass ich so viel arbeiten würde. Und manchmal kulminiert es eben. Jedenfalls: Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich nichts machen. Und ich ärgere mich auch immer darüber, wenn ich mir etwas Neues ausmache. Aber es gibt eben Dinge, die einem am Herzen liegen.

Zum Beispiel?

Ich hab’ seit 2010 kein neues Soloprogramm gemacht, nur mit Monika Gruber ein bissl „Best of Beide“ gespielt. Ich hab’ einfach nix zu sagen gehabt. Vor einem halben Jahr aber bemerkte ich, dass es ein paar Themen gibt, die mich bewegen. Und dann kommt die Kraft, ein Programm zu schreiben. In „Homo Idioticus“ geht es um die Grundfrage, warum wir von lauter Trotteln umgeben sind: Warum arbeiten wir bis zum Umfallen und kriegen ein Burnout? Wir haben zwei Fernseher, drei Autos, fahren vier Wochen auf Urlaub, sind trotzdem unglücklich, glauben aber, dass uns das alles glücklich macht. Warum glauben wir, dass die Welt untergeht, obwohl wir in einer Zeit leben, in der es uns so gut geht wie nie zuvor? Und warum fürchten wir uns vor einer Krise, wenn es gar keine gibt?

Das absurde Sicherheitsdenken sprechen Sie wohl auch an?

Genau! Es gibt tatsächlich einen Sicherheitswahn. Noch nie sind so wenige Unfälle passiert – und noch nie haben die Menschen so viel Angst gehabt, dass etwas passieren könnte. Egal, was wir machen, wir müssen einen Helm aufsetzen und Knieschützer anlegen. Man hat schon Angst, dass man beim Mistruntertragen tödlich verunglücken könnte. Ich sag’ nicht, dass es unvernünftig ist, sich im Auto anzuschnallen. Aber ich kenn’ so viele Menschen, die Panikattacken und Angstzustände haben. Das Vertrauen ins Leben ist komplett verloren gegangen. Ich bin im Sommer auf Zakynthos mit dem Motorrad gefahren. Alle haben gesagt: „Setz einen Helm auf! Zieh Dir eine Lederjacke an!“ Ich hab’ gesagt: „Ich mach’s wie die Griechen im Leiberl und mit Schlapfen!“ Und was ist passiert? Aufg’haut hat’s mich. Trotzdem hab’ ich Vertrauen ins Leben.

Eine Ihrer Qualitäten ist: Sie machen sich über sich selbst lustig – und fast nie über Unbeteiligte.

Manchmal schreib’ ich Nummern, in denen ich Politiker vorführe, und dann streich’ ich das wieder. Denn solche Nummern langweilen mich eigentlich. Ich gehe lieber an die menschlichen Schwächen, die ich ja auch habe. Im Saal mit 500 Leuten bin ich der größte Idiot. Das muss so sein. Für mich ist es viel interessanter, mich über mich und das Menschliche lustig zu machen. „Lustig machen“ ist aber nicht das richtige Wort: Man spricht einen Gedanken aus, der oft eine Verzweiflung in sich trägt – und gerade die Verzweiflung macht den Gedanken komisch. Weil die Lösung auf der Hand liegt, aber man sieht sie aufgrund einer menschlichen Schwäche nicht.

Ein Thema, das immer wieder auftaucht, ist die Liebe und das Scheitern von Beziehungen. Muss man das Scheitern erlebt haben, um komisch sein zu können?

Ich glaube, dass die Tragödie eine der wichtigsten Bestandteile der Komödie ist. Wie auch umgekehrt: Beides wird ohne das Andere langweilig. Wenn ich zwei Stunden lang todernst etwas Tragisches erzähle, wird es langweilig. Denn der Nerv, den ich treffe, stumpft ab. Die wirklich guten Tragödien haben Momente, wo man lachen muss. Das muss kein Schenkelklopf-Lachen sein oder ein Lachen, bei dem einen die Tränen runterrinnen, aber man ist erleichtert. Und wenn die Komödie zwei Stunden lang nur auf die Lacher konzipiert ist, dann stumpft eben dieser Nerv ab. Ich muss dazwischen auch den ernsthaften Nerv beziehungsweise das Herz treffen. Es gibt fast nichts Tragisches, was nicht auch eine Pointe hervorruft – und sei es der Tod des eigenen Vaters. Ich glaube aber nicht, dass man traurige Sachen erleben muss, um komisch sein zu können.

Sie erzählen auf der Bühne viel Privates, zum Beispiel Ihre Liebesgeschichte mit Nina Hartmann. Aber erzählen Sie die Wahrheit?

Man gibt alles von sich preis – und gleichzeitig nichts. Weil das Publikum nie wissen kann, was der Kabarettist erlebt hat und was er erfunden hat. Oft ist es so, dass man in der Wirklichkeit Dinge erlebt, die komisch sind. Daher bringt man sie auf die Bühne. Sie müssen aber, um pointiert erzählt werden zu können, verändert werden. Es ist zum Beispiel tatsächlich passiert, dass Viktor Gernot und ich, als wir das Programm „Gefühlsecht“ zu schreiben begonnen haben, innerhalb einer Woche von unseren Partnerinnen verlassen wurden. Das haben wir natürlich verwendet. Aber es hat sich nicht alles so abgespielt. Das Erleben wird für die Bühne zurechtgebogen.

Weil Sie „Gefühlsecht“ erwähnen: Sie sind gerne anzüglich, aber unterlaufen nie ein gewisses Niveau.

Meinen Sie? Mir wird oft genau das Gegenteil vorgeworfen. Aber was ist Niveau? Shakespeare hat viele doppeldeutige Worte verwendet, das Publikum hat die sexuelle Variante immer mitgedacht. Das ist in England nichts Unanständiges. Bei uns hingegen heißt es, dass man auf der Bühne nicht über Sex reden darf. Aber das Kabarett, das ich machen möchte, muss mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und die Wirklichkeit ist eben auch ordinär und grauslich. Manchmal ist „Pudern“ daher das richtige Wort – und manchmal bemerkt man, dass man es gar nicht braucht. Ich glaube, man unterschreitet das Niveau erst dann, wenn man ordinär nur um des Ordinärsein-Willens sein will.

Mit Monika Gruber spielten Sie nicht nur „Best of Beide“: Mit ihr drehten Sie die Agentenkomödie „Die Mamba“, die heuer ins Kino kam. Der Film schlug nicht wirklich ein.

Er ist bei etwa 80.000 Zuschauern stecken geblieben, das ist okay. Aber ich musste lernen: Wenn man ein Leben lang auf der Bühne komisch ist, heißt das nicht unbedingt, dass man auch im Film komisch sein kann. Ein Film funktioniert nach anderen Gesetzen. Und es gibt einige Gesetze, die wir nicht beachtet haben.

Welche?

Auf der Bühne gibt das Publikum den Rhythmus der Szenen vor. Denn ich muss an den Stellen, an denen die Leute lachen, eine Pause machen. Aber beim Film hast du kein Publikum. Du musst aus der Theorie heraus festlegen, was komisch ist. Und das ist schwierig.

Ist das nicht schon auf der Bühne schwierig? Oft machen die Kabarettisten keine Zäsur – und als Zuschauer bekommt man die nächste Pointe gar nicht mit.

Oder sie machen eine Pause, nur weil bei dieser Stelle gestern gelacht wurde. Ja, vieles ist schwierig: Man hält etwas für komisch, das aber nicht komisch ist; man hat die Angst, dass einem nichts Lustiges einfällt. Aber das Schwierigste ist es, in der Figur die richtige Reaktion zu spielen – und gleichzeig auf das Publikum aufzupassen. Wir müssen mit ihm mitatmen. Wir tun zwar so, als gäbe es eine vierte Wand, müssen die Zuschauer aber immer wahrnehmen. Sie dirigieren uns. Wie soll ich das erklären? Man muss auf der Welle des Lachens surfen – wie auf dem Meer. Es gibt eine Spitze des Lachers. In diese Spitze darf man nicht hineinreden. Aber wenn der Lacher auf dem halben Weg runter ist, dann muss ich weiterreden. Denn wenn ich warte, bis der Lacher aus ist, ist der Rhythmus kaputt. Und man muss die Pause, die man machen muss, inhaltlich füllen. Man darf nicht einfach warten, man muss die Spannung halten. Das kann man nicht theoretisch, nur mit dem Publikum lernen. Und man kann es nur spüren.

Daher findet bei Ihren Produktionen die Premiere immer erst nach einer Einspielphase statt?

Ja. Eine Produktion – egal ob Komödie oder Tragödie, egal ob Musical oder Kabarett – ist erst nach der zehnten oder 15. Vorstellung fertig. Am Broadway und im West End gibt es sogar bis zu 50 Einspielvorstellungen.

Diesen Herbst spielen Sie mit einem recht großen Ensemble frei nach Shakespeare „Richard III.“ Wie kamen Sie darauf, aus der Tragödie eine Komödie zu machen?

Jahrzehntelang habe ich Shakespeare verweigert, auch wenn ich mich wahnsinnig dafür geniert habe, denn ich kannte nur die Übersetzung von Schlegel-Tieck. Und die ist Mist. Die Sätze sind kompliziert formuliert, man kennt sich nicht aus. Ich dachte immer, dass das an Shakespeare liegt. Aber vor eineinhalb Jahren hab’ ich in London „Edward II.“ von Christopher Marlowe gesehen.

Er war ein Zeitgenosse von Shakespeare.

Ja. Ich wollte zuerst gar nicht gehen. Als ich las, wie lang der Abend dauern wird, überlegte ich, eine Nierenkolik vorzutäuschen: „Um Gottes Willen! Jetzt muss ich drei Stunden im National Theatre sitzen – und versteh’ kein Wort!“ Ich habe tatsächlich fast nichts verstanden, weil die Sprache von Marlowe selbst für die Engländer schwer zu verstehen ist. Der Abend war für mich trotzdem spannend. Ich zweifelte danach an meiner Einstellung zu Shakespeare und kaufte mir bei Foyles in der Charing Cross Road „No fear Shakespeare“. Links der Originaltext, rechts die Übertragung ins Present Day English. In der U-Bahn las ich schon zwei Drittel von „Macbeth“, weil es ein unfassbar spannendes Stück ist. Und so begann ich mich Shakespeare zu beschäftigen, ich las eine Biografie und besorgte mir die großartigen Übersetzungen von Frank Günther. Er kennt sich im Elisabethanischen Zeitalter derart gut aus, dass er für die Anspielungen von Shakespeare Analogien findet, die wir verstehen können. Ich las dann zehn oder elf Stücke. Und das traf sich gut, denn ich recherchiere gerade für einen historischen Roman über das 16. Jahrhundert. Zugrunde liegt eine wahre Begebenheit: Ein englischer Abenteurer gab sich in Prag bei Rudolf II., dem deutschen Kaiser, als persischer Gesandter aus. Er war einer der größten Gauner der damaligen Zeit. Ach ja: Und dann hab’ ich „Richard III.“ gelesen. Ich verliebte mich in die zwei Figuren, die Richard in den Tower schickt, um seinen Bruder George, den Herzog von Clarence, umzubringen. Die beiden sind eigentlich Komiker: Sie treten mit einer Farkasch-Waldbrunn’schen Doppelconference auf. Sie haben ein schlechtes Gewissen und beginnen zu philosophieren. Da dachte ich mir, man müsste die Geschichte von „Richard III.“ über diese beiden Figuren erzählen. In meiner Version kämpfen sie sich durch diesen Sumpf schrecklicher Intrigen, weil Richard König werden will, aber sind sie die Einzigen, die niemanden umbringen.

Wird Richard dann überhaupt König?

Das ist das Spannungselement! Nur so viel: Die beiden Rüpelfiguren werden schon für große Mörder gehalten. Aber sie sind unschuldig.

In der Marx-Halle haben Sie zusammen mit Ihrem Koproduzenten Georg Hoanzl ein Theater errichtet, das „Globe Wien“. Da Sie ohne Subventionen arbeiten: Gehen Sie nicht ein hohes Risiko ein?

Ich fände es nicht richtig, Geld vom Steuerzahler zu nehmen, wenn ich es schaffe, eine Produktion über den Kartenverkauf zu finanzieren. Wenn ich eine Barockoper machen würde, wäre das vielleicht etwas anderes. Wir kalkulieren nicht fahrlässig, sondern streng. Es ist daher ziemlich realistisch, dass wir keinen Verlust machen. Das reicht für den Start. Und wenn das Stück erfolgreich läuft, können wir es ja länger spielen. Dann wirft es auch einen Gewinn ab.

Ich dachte: Geld ist für Sie ist keine Motivation.

Das stimmt auch. Ich habe nie etwas des Geldes wegen gemacht. Es ist ein unglaubliches Glück, dass ich von diesem Beruf leben, auch gut leben kann.

Sie kennen depressive Phasen. Immer wieder ein neues Projekt anzugehen: Ist das auch eine Methode, nicht in eine Depression zu fallen?

Meine Therapeutin sagte mir, dass es kein Wunder ist, wenn Schauspieler oft erschöpft sind, Depressionen kriegen oder eine Leere in sich spüren. Jede Premiere verursacht eine Adrenalinausschüttung, die normale Menschen nur drei-, viermal in ihrem Leben haben, vor der Hochzeit zum Beispiel oder einer wichtigen Prüfung. Manchmal haben wir sie die ersten zehn Vorstellungen jeden Tag. Danach habe ich den Adrenalinlevel wie ein Bäcker, nur fühlt er sich für mich wie eine unfassbare Leere an. Weil ich eben – wie bei einer Droge – gewohnt bin, auf 100 zu sein. Es ist kein schlechter Gedanke, diesen Fall in die Leere mit einem nächsten Projekt abzufangen. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Stück oder Programm schon so halbwegs passt, dann überleg’ ich mir bereits: Was könnt’ ich eigentlich als Nächstes machen? Aber das war bei mir schon immer so.

Und was kommt als Nächstes – abgesehen von Ihrem historischen Roman?

Der langfristige Plan ist schon, dass wir, wenn das Globe Wien als Spielort funktioniert, weitere Shakespeare-Stücke produzieren. „Timon von Athen“ würde ich gerne machen. Da geht es um Freunde, die sich von einem reichen Mann aushalten lassen. Und als dann dieser Mann Geldsorgen hat, borgen sie ihm nichts. Das ist eigentlich ein Stück über den Kapitalismus. Es passt total in die heutige Zeit.

Eine letzte Frage noch – zu Ihren 41 „relevanten Fragen“. Eine lautet: „Was macht Sie trauriger? Träume, die noch immer unerfüllt sind, oder Träume, die vor langer Zeit schon in Erfüllung gegangen sind?“ Eine andere lautet: „Haben Sie manchmal davor Angst, dass Sie sich für Ihr Handeln auf Erden irgendwann an einem anderen Ort verantworten müssen?“ Sind das Fragen, mit denen Sie sich selbst konfrontieren wollten?

Ja, zum Teil. Ich habe auch von anderen Fragebögen gefladert bzw. den Inhalt der Fragen auf meine Art formuliert. Das hat mir einen großen Spaß gemacht. Ich wollte bei jeder Frage einen Nerv treffen. Es geht bei den Fragen weniger um die Antworten der Befragten: Das Coole ist, dass sie einen selber zum Nachdenken bringen.

Zum Schluss darf jeder, der gebeten wird, den Fragebogen ausfüllen, Ihnen eine Frage stellen. Elfriede Ott fragte: „Warum sind Sie so indiskret?“

Und das Gemeine ist: Ich habe die Frage bis heute nicht beantwortet.

Sie haben viele Fragen nicht beantwortet.

Das stimmt. Es wurde mit den Machern der Webseite „relevant.at“ abgemacht, dass ich zum Schluss alle Fragen auf einmal beantworte. Ich hoffe, dass diese Serie nie endet.

Und warum sind Sie so indiskret?

Das einzig wirklich Interessante ist das Indiskrete. Da geht es ans Eingemachte. Das Diskrete ist ja offensichtlich.

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