Die acht Stunden des Nicolas Berset

Limburg – Nicolas Berset schien nicht gebraucht zu werden. Er war ja nur das Back-up für die “spektakuläre Live-Performance”, die ORF III am Freitag, den 24. Oktober, ab 16.05 Uhr live aus dem “Atelier”, eigentlich Schloss, von Erwin Wurm in Limburg übertrug: Ralph Saml, der Akteur, war gesund und munter erschienen, um als lebende Skulptur zehn Stunden lang recht regungslos zu verharren.

Und der Beginn der Aktion war reibungslos über die Bühne gegangen: Der Mentalist Harry Lucas, der mit eigener Show im Simpl auftritt, hatte den Wiener Schauspieler und Marathonläufer ab 16.14 Uhr in Hypnose versetzt. So stand Saml nun seelenruhig in einem leergeräumten Gästezimmer, um die Welt auf den Kopf zu stellen: Im Fernsehen, dem Medium der bewegten Bilder, wirkte er wie eine Statue – und wie ein Standbild. Das leichte Zittern der Hände, das Atmen waren in der Liveeinspielung nicht auszumachen.

Nicolas Berset, die Zweitbesetzung, schien nicht gebraucht zu werden. Von ihm hatte ohnedies niemand Notiz genommen. Dem Publikum war nicht einmal mitgeteilt worden, dass es ein Back-up gab. Und der Notarzt diente eigentlich nur der Beruhigung. Denn Wolfgang Gleirscher überwachte weder den Kreislauf, noch den Zuckerhaushalt des Probanden, der im Namen der Kunst herumstand. Gleirscher konnte nur abwarten: “Entweder fällt Saml um – oder nicht. Und wenn er umfällt, dann ist das schon die Einleitung der Therapie. Denn dann wird das Blut zum Herzen geleitet.” Er wirkte sehr entspannt.

Die Sache schien schon gelaufen. Für 18 Uhr plante das Team von ORF III einen Liveeinstieg, das sorgte natürlich für etwas Hektik. Nicolas Berset, stiefmütterlich behandelt, schlich herum. Der 37-jährige Schweizer, der seit Jänner in Wien lebt, nahm seine Aufgabe ernst. Erwin Wurm bot ihm etwas zu trinken an, aber Berset lehnte ab. Denn was wäre, wenn er einspringen müsse? Daran glaubte niemand mehr. Zumal Berset, hager wie Wurm, kein glaubhaftes Double für den 53-jährigen Saml abgeben konnte.

Aber dann passierte etwas, mit dem niemand gerechnet hatte: Saml gab kurz vor 18 Uhr auf. Er hätte Schwindelgefühle, Fußschmerzen und Schweißausbrüche gehabt. Der Körper hätte ihn zurückgeholt in die Wirklichkeit – und da hätte er gewusst, dass es besser wäre, abzubrechen.

Erwin Wurm war genervt. Denn es handelte sich eigentlich nur um eine Wiederholung einer Performance: Bei “Stand West” im Jahr 2008 oder 2009 hatte Roman Pfeffer sogar 14 Stunden in Hypnose verharrt – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. War “Stand West 2” nun gescheitert? Nein, denn es gab “Plan B”, wenngleich mit verkürzter Dauer: Nicolas Berset sollte acht Stunden lang eine Statue sein.

Da war nicht viel Zeit zum Nachdenken. Um Punkt 18 Uhr wurde Berset geschminkt, der Notarzt gab ihm eine Spritze für den Langstreckenflug in die Welten der Phantasie, also eine Thrombose-Prophylaxe. Ob man nicht noch schnell ein Interview machen solle? Erwin Wurm lehnte ab: “Lasst ihn anfangen!” Und so machte sich der Mentalist Harry Lucas um 18.04 Uhr daran, Nicolas Berset in Trance zu versetzen.

Das war gar nicht so einfach. Denn der bildende Künstler, der nun zur Skulptur werden sollte, wollte nicht das gleiche Schicksal wie die Erstbesetzung erleiden: Berset stand unter Stress, seine Beine zitterten ziemlich. Aber Lucas vermochte ihn zu beruhigen. Und dann stand der Schweizer. Und er stand. Und er bildete das Gegenstück zu den kurzen “One-Minute-Sculpures”, mit denen Erwin Wurm international bekannt geworden war. Exakt um 1.58 Uhr wurde Berset geweckt. Er hatte es geschafft. Erwin Wurm dankte, das Team von ORF III applaudierte. Und Nicolas Berset lächelte sanft.

 

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