Wolf D. Prix: “Alle Macht der Phantasie!”

Für das Archiv der Zeitgenossen in Krems wurde vor kurzem der Vorlass von Wolf D. Prix erworben. Der Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au kritisiert im Interview die Mutlosigkeit der Gesellschaft und die ökonomischen Zwänge im Wohnbau. Das Gespräch fand am 14. Oktober 2014 statt, der Text erschien in Heft 6/2014 der niederösterreichischen Kulturzeitschrift morgen. –

Vor knapp einem halben Jahrhundert haben Sie mit Architektur begonnen. Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass Sie Ihre Visionen einmal realisieren werden?

Ich hab’ davon nicht nur geträumt, ich war davon überzeugt. Damals war ich noch Optimist.

Heute sind Sie das nicht mehr?

Die Gesellschaft ist mutlos geworden, erfüllt von Angst. Und mit Angst kann man die Zukunft nur schlecht bewältigen. Alle zukunftsorientierten Projekte werden daher abgelehnt. Die Fremdheit einer neuen Ästhetik erzeugt – wie auch der Fremde im Land – in einer geschlossenen Gesellschaft Angst. Eine offene Gesellschaft hingegen würde positiv daran gehen, die Zukunftsprobleme zu lösen.

Ihre ersten Phantasiegebilde sind aber wohl auch auf Ablehnung gestoßen.

Ja, natürlich. Das war eine radikale Minderheit, die gesagt hat: „Alle Macht der Phantasie!“ Schon in den 70er-Jahren hat man den jungen Leuten gedroht: „Hört auf, utopisch zu denken, das Erdöl wird in 20 Jahren aus sein!“ Es gab also Versuche, uns zu bremsen, aber wir waren beständiger. Steter Tropfen höhlt den Stein. Die jetzige Generation hingegen geht kein Risiko ein. Das ist eine Null-Risiko-Generation.

Wie kam es 1968 zur Gründung von Coop Himmelblau? Hatten Sie Ihre Partner Helmut Swiczinsky und Michael Holzer beim Architekturstudium an der TU Wien kennengelernt?

Helmut und ich trieben die Idee voran, eine Gruppe zu bilden. Weil wir gesehen haben, dass Gruppen wie die Beatles oder die Rolling Stones enorm wirksam waren. Sie haben sehr schnell sehr viel Geld verdient, sie waren berühmt und sie haben die Musikindustrie revolutioniert. Wir wollten die Architektur ändern – sofort. Im Nachhinein gesehen war das natürlich eine totale Unterschätzung der Geschmacklosigkeit der Auftraggeber und eine Überschätzung der Intelligenz der Bauindustrie.

Architektur solle, so Ihr Credo, leicht und veränderbar wie Wolken sein. Das erste Objekt der Gruppe war die „Villa Rosa“, eine pneumatische Wohneinheit mit Ballons und Schläuchen. Daher der Name „Himmelblau“?

Es gibt viele Gründungsmythen. Einer dieser Mythen ist, dass wir im Flugzeug von Spanien nach Wien beschlossen, eine Gruppe zu gründen. Ich hab damals „Hamlet“ gelesen. Da gibt es die Szene, in der Hamlet zu Polonius sagt: „Seht Ihr die Wolke dort, beinah in Gestalt eines Kamels?“ Sogleich verbessert er sich: „Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.“ Und dann: „Oder wie ein Walfisch?“ Es geht also um die Veränderbarkeit der Wolken. Und beim Fliegen ist der Himmel dunkelblau. Ein herrliches Blau! Ich sah aus dem Fenster, es gab eine einzelne Wolke. Und die hat sich verändert. Wir wollten Architektur wie Wolken bauen, uns aber nicht „Wolkenbauer“ nennen. Daher „Himmelblau“. Das ist aber, wie wir es formulierten, „keine Farbe, sondern die Idee, Architektur mit Fantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu machen“. Also: Einfach haben wir es uns im Sinne des Marketings nie gemacht.

War das auch der Grund, warum Michael Holzer schon nach drei Jahren ausgeschieden ist?

Ja. Man musste viel riskieren.

Was brachte Sie auf die Idee, sich solche Wolkengebilde auszudenken?

Die angrenzenden Gebiete, die uns mehr interessiert haben als die Geschichte der Architekturtheorie: Musik, Philosophie, Erziehung, Gesellschaft waren für uns wichtiger als Vitruv und Palladio. Und wir waren davon überzeugt, dass wir die anstehenden Probleme mit der neuen Architektur lösen können. Architektur kann zwar nicht direkt die Gesellschaft verändern, das bleibt der Politik vorbehalten. Aber sie kann beitragen zu einer Veränderung im visuellen Verhalten der Menschen.

Kann Architektur das Leben lebenswerter machen?

Ja, das kann sie. Aber als Architekten müssen wir aufpassen, dass wir nicht mehr verhindern als bewirken. Ein Beispiel: Sie können das schönste Atelier bauen, aber wenn der Maler unbegabt ist, wird er keine besseren Bilder malen. Hingegen: Wenn Sie einem begabten Maler ein Atelier ohne Licht bauen, wird er nicht malen können.

Das heißt doch auch: Die Architekten müssten bestrebt sein, Wohnungen zu entwerfen, in denen sich der Mensch wohlfühlt.

Das tun sie auch, zumindest die Begabten unter meinen Kollegen. Aber die ökonomischen und politischen Zwänge sind größer als jeder geniale Entwurf, der zur Befreiung des Raumes und daher auch zur Befreiung der Bewohner dient. Die Dimensionen der Wohneinheiten richten sich noch immer nach dem Raster der Parkplätze. Da kann der Architekt noch so kämpfen: Wenn er eine Änderung vornimmt, sagt der Bauträger: „Das ist viel zu teuer, das leiste ich mir nicht.“ Die Auftraggeber kommen aus ökonomischen Gründen sogar auf die absurde Idee, den Wohnraum unter dem Titel „smart wohnen“ noch einmal zu verkleinern. Sie stopfen eine dreiköpfige Familie in 45 Quadratmeter. Ich halte das für kriminell. Wenn man uns auffordert, eine Familie auf kleinstem Raum zusammenzulegen, dann ist man verantwortlich für die psychischen Katastrophen, die aufgrund der Enge entstehen.

Bei zwei Wohnbauprojekten in Wien, beim SEG Apartment Tower und beim Gasometer B, hatten Sie großes Glück mit dem Auftraggeber.

Es kommt darauf an, dass jemand Verantwortung übernimmt. Das kann nicht nur der Architekt sein, das muss auch der Auftraggeber. Und er darf nicht nur dem ökonomischen Zwang unterliegen. Bei beiden Projekten ist von Seite der Auftraggeber Günter Bischof hinter uns gestanden. Nur deswegen konnten wir sie realisieren.

War der SEG-Tower an der Alten Donau, 1998 fertig gestellt, aufgrund der Glasfassade eigentlich teurer als ein normaler Wohnbau?

Nein. Er war sogar der erste Turm, für den ein passives Klimakonzept entwickelt wurde. Die Idee war, dass die Fassade mehr Energie erzeugt, als das Haus verbraucht. Also ein kleines Kraftwerk. Das Konzept wurde leider abgelehnt, weil es zu teuer war.

Sie waren ein Vorreiter. War aber bei Ihnen immer der praktische Nutzen vorrangig?

Es kommt darauf an, wie man Funktionalität definiert. Das Aussehen ist mindestens so wichtig wie das Innere. Aber auf zwei Dinge bin ich wirklich stolz: Unsere Bauten brauchen bis zu 30 Prozent weniger Energie, als von der jeweiligen Norm verlangt wird. Und sie funktionieren hervorragend. Also: Die Funktion des Gebäudes ist mit der Form, der Gestalt, immer synergetisch verbunden. Es ist nicht so, dass die Form der Funktion folgt oder umgekehrt, sondern: Es gibt eine Synergie – und sie erzeugt Lebendigkeit.

Im gleichen Jahr, also 1998, wurde auch der Ufa-Kristallpalast in Dresden eröffnet. War dieses Kinocenter Ihr internationaler Durchbruch?

Nein, der gelang uns schon 1988 mit dem Dachausbau in der Falkestraße in Wien. Gegenüber gab es einen Bau aus dem 19. Jahrhundert mit einem Turm als Ecklösung. Wir propagierten eine Form, die der Gegenwart eher entsprach, eine sich öffnende Form. Der Dachbodenausbau war das erste realisierte dekonstruktivistische Projekt der Welt. Es wurde 1981 entworfen, dann gab es Verzögerungen und Behinderungen, wie es halt immer so ist. 1988 haben wir in der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im Museum of Modern Art ein Modell gezeigt. Viele Kollegen haben gesagt: „Das kann man nie bauen!“ Aber da war es praktisch schon fertig.

Die Abänderung des Namens kam aber erst Ende der 1990er-Jahre: Sie setzten das L in Klammern, weil Coop Himmelb(l)au nun tatsächlich baute.

Das ist aber nicht plötzlich erfolgt. Mir ist einmal beim Schreiben aufgefallen, dass das L, wenn ich schnell „Himmelblau“ schrieb, sperrig aus meiner Hand kam. Ich hab’ dann das L weggelassen – und dachte mir: „Himmelbau“ ist ein toller Name.

Warum dann das L in Klammern?

Als Reminiszenz, dass wir als „Himmelblau“ begonnen haben.

Was war nach dem Dachbodenausbau der wichtigere Schritt: der Museumspavillon in Groningen – oder der Ufa-Kristallpalast in Dresden?

Beide Projekte waren wichtig. Der Anspruch, dass Architektur auch Kunst ist, wurde mit dem Pavillon manifestiert. Und dass wir uns einen öffentlichen Raum auch anders vorstellen können als einen Platz, über den man flaniert, das haben wir mit dem Kristallpalast gezeigt. Damals wurden die Baukosten von Kinozentren über Sitzplätze hochgerechnet. Unser komplexes Gebäude mitten in der Stadt kostete keine müde Mark mehr als diese langweiligen Megaplex-Schachteln auf der grünen Wiese. Das sagte ich auch bei der Eröffnung. Der Bauherr sagte aber nicht: „Fantastisch!“ Sondern: „Ich muss mir überlegen, ob die Kisten nicht zu teuer sind.“

Mit dem Kristallpalast haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie ein Meister des Solitärbaus sind.

Ich weiß nicht. Geben Sie mir ein Areal – und ich baue Ihnen ein ganzes Stadtviertel! Aber natürlich ist eines unserer Ziele, Gebäude identifizierbar zu machen. In der anonymen Masse von Städten brauchen wir wieder „Denkmäler“, die die Leute am Anfang vielleicht nicht so goutieren, aber später mental in Besitz nehmen. Ich halte das für ganz wichtig. Denn diese Gebäude dienen dann zur Identifikation der Bewohner. Wenn du nicht beschreiben kannst, wo du wohnst, wird es kritisch. Ich glaube allerdings nicht, dass viele Solitärbauten nebeneinander schon eine wertvolle Perlenkette ergeben. Ich würde es bei einem Stadtviertel anders machen: Ich würde viele Kollegen einladen, mit mir eine Vielfalt zu erzeugen.

Wurde diese Vielfalt nicht mit dem Campus der Wirtschaftsuniversität in Wien realisiert? Verschiedene Architekten, ein grandioses Ensemble.

Ich war der Vorsitzende der Wettbewerbsjury. Ja, das war ein Meilenstein. Aber auch dieses Projekt wurde desavouiert, indem man gesagt hat: „Zu teuer und es hat zu lange gedauert.“ Man sprach von „Selbstverwirklichung“. Diese Vorwürfe stimmen jedoch nicht: Alles war im Budget und in der Zeit. Das ist eine großartige Leistung.

Wo ist also die Mutlosigkeit, die Sie kritisieren?

In der Regel sind die wichtigen Bauten in Wien nur guter Durchschnitt. Auch der ORF wird das Gebäude kriegen, das er verdient. Es werden immer mehr stupende, langweilige Kisten gebaut, die bloß ihre Funktionen erfüllen. Ich finde, dass auch die Wohnviertel phantasievoll gebaut werden sollten. Ich wohne in der Vorgartenstraße, dort ist alles brav und bieder. Und der Wind zieht durch. Es wäre schön gewesen, wenn dieses Viertel nicht in quadratischen Rastern gebaut worden wäre, sondern wenn der Masterplan ähnlich intelligent und lebendig aufgesetzt worden wäre wie der von der WU.

Die neue Seestadt Aspern ist …

Sie meinen Teich-Dorf? Das halte ich für das seit langem verfehlteste städtebauliche Konzept von Wien. Das ist die Kopie einer Kopie. Ich habe noch nie gehört, dass Urbanität durch ein Wasserloch in der Mitte entsteht.

Ich wusste nicht, dass Sie sich derart für Stadtplanung interessieren.

Ich habe schon immer Stadtplanungsprojekte gemacht. Die Biografie eines Architekten verläuft im Idealfall so: Du beginnst mit einer Wohnung, baust ein paar Häuser, dann einen Platz, ein Stadtviertel – und schließlich eine Stadt. Und ich habe auch Erfahrung. Es gibt viele Vorschläge von uns. Zum Teil wurden sie realisiert, etwa in China. Oder: Wir nahmen an einem Wettbewerb für ein Konferenzzentrum in St. Petersburg teil. Gewonnen haben wir zwar nur den Flächen- und Raumwidmungsplan. Aber er wurde umgesetzt – im Gegensatz zum Konferenzzentrum. Oder: Wir haben den Wettbewerb für eine Satellitenstadt von Paris gegen Rem Koolhaas gewonnen. Er wurde nicht realisiert, weil wir kompromisslos darauf bestanden haben, dass es alle 15 Meter ein Freigeschoss geben muss, um eine vertikale Stadt zu erreichen. Wir hatten schon beim SEG-Turm ein Geschoss als frei zur Verfügung stehende Kommunikationsfläche errichtet. Damals sagten alle: „Das brauchen wir nicht, das wird nicht angenommen.“ Wir bestanden darauf. Und es wurde sehr wohl angenommen!

Sie betonen immer wieder, dass Sie kompromisslos seien, und kritisieren Kollegen, die sich dem Bauherrn beugen würden.

Die sich im vorauseilenden Gehorsam beugen! Das ist ein großer Unterschied! Vernünftige Kompromisse, die man gemeinsam entwickelt, bringen die Architektur weiter. Es ist ja nicht so, dass ich immer Recht habe. Aber auch der Auftraggeber hat nicht immer Recht.

Ist es nicht problematisch, wenn Sie immer verkünden, kompromisslos zu sein?

Auftraggeber haben manchmal eine gewisse Angst vor mir. Aber wenn sie mit uns arbeiten, sind sie überrascht, welche Teamplayer-Fähigkeiten wir haben. Wenn ein Auto verlangt wird, werde ich nicht versuchen, ein Schiff zu bauen. Ich habe einmal Günther Domenig mit dem Boxer Joe Frazier verglichen: mit dem Kopf an der Brust, ohne Übersicht, aber ungeheuer wirkungsvoll. Meine Strategie ist eher die des Muhammad Ali.

Er hat gegen Frazier gewonnen.

Darum geht’s nicht. Auch Cassius Clay hat Kämpfe verloren. Aber er konnte während eines Kampfes die Strategie ändern.

Sie ändern die Strategie, um ein Projekt durchzubringen?

Ja, ohne die Substanz zu verlieren.

Wie schaut das nun bei Ihrem größten Bauwerk, dem Tower für die Europäische Zentralbank in Frankfurt, aus? Der von Ihnen vorgeschlagene Groundscraper wurde nicht realisiert.

So stimmt das nicht. Wir hatten den Groundscraper mit dem Konferenzzentrum parallel zu der unter Denkmalschutz stehenden Markthalle vorgeschlagen. Es musste aber eine Nutzung für die leere Halle geben – und es wurde keine gefunden. Daher wurde das Konferenzzentrum in die Halle verlegt. Das würde ich nicht als Kompromiss bezeichnen, sondern als Entwicklungsprozess. So etwas passiert bei jedem Projekt.

Ist das neue Gebäude, das 2015 offiziell eröffnet werden soll, von der Reputation her Ihr wichtigstes Projekt?

Sicher. Welcher österreichische Architekt hat schon für die Europäische Union ein Gebäude entworfen – noch dazu in Frankfurt? Ich halte es für wirklich wichtig, dass die EU gerade jetzt ein dreidimensionales Symbol, ein selbstbewusstes Zeichen bekommt.

Als Identifikationsobjekt?

Ja. Wäre der Turm eine normale Schachtel, vertikal aufgestellt, dann hätte man nur das Euro-Zeichen transportieren können.

Es soll Kostenüberschreitungen gegeben haben. Und es gab zwischendurch einen Baustopp. Hatten Sie Sorge, dass der Turm doch nicht realisiert werden könnte?

Hatte ich schon. Obwohl ich ein äußerster Optimist war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Gebäude von mir direkt neben einem von Karl Schwanzer, meinem Professor, errichtet werden könnte. Das gelang mir mit der BMW Welt in München. Und zweitens: Obwohl ich Optimist bin, glaube ich erst, dass ein Gebäude fertig ist, wenn ich bei der Eröffnung drinnen stehen kann. Die EZB war wirklich schwierig. Es ist ja auch ein Riesenbauwerk mit vielen Beteiligten.

2006/2007 schied Ihr jahrzehntelanger Partner Helmut Swiczinsky aus. Wie war die Arbeitsaufteilung zwischen ihm und Ihnen?

Reinhold Messner und Peter Habeler konnten die Eiger-Nordwand nur deswegen so schnell – und daher gefahrloser – durchsteigen, weil sie überschlagend geklettert sind. Das heißt: Wer im Fels besser war, hat im Fels geführt, und wer im Eis besser war, im Eis. Helmut war in der Detailentwicklung der Schnellere. Warum hätte ich ihn da bremsen sollen? Die Zeichnung, die Strategie kamen eher von mir.

Nach dem ersten Manifest folgte 1980 noch eines: „Wir wollen Architektur, die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung reißt.“ Und: „Wenn sie kalt ist, dann kalt wie ein Eisblock. Wenn sie heiß ist, dann so heiß wie ein Flammenflügel. Architektur muss brennen.“ Schrieben Sie diese Texte gemeinsam?

Das ist wie in einer Band. Es wäre unfair zu sagen, dass dieses Gedankengut allein von mir entwickelt wurde. Das ist im gemeinsamen Denken entstanden. Ausformuliert habe ich es.

Also wie ein Song von Lennon/McCartney?

Ja. Alles war immer Coop Himmelb(l)au.

Wie gehen Sie eigentlich beim Entwurf vor? Arbeiten Sie von Anfang an am Computer – oder skizzieren Sie ein Gebäude mit der Hand, wie es Domenig gemacht hat?

Domenig war alte Schule. Wir nutzten schon sehr früh die Fähigkeiten des Computers, um uns über die Zeichnungen hinaus weiterzuhelfen. Aber wir haben dem Computer nie die Spielregeln überlassen. Wussten Sie, dass die gotischen Baumeister den Kreis, den sie mit dem Zirkel gezogen hatten, mit der Hand nachgezogen haben?

Damit eine leichte Unregelmäßigkeit entsteht?

Genau. Ich bin überzeugt, dass die Gebäude, die von vorn bis hinten berechnet sind, langweilige Architektur sind. Sie sind eigentlich tot. Nur die „Fehler“ – unter Anführungszeichen – machen sie lebendig. Die Zeichnung unterscheidet uns daher von vielen anderen Architekten. Auch wenn es nicht möglich ist, ein Gebäude zu zeichnen, das sich durch den Wind verändert. Dafür braucht man den Computer. Aber wir brechen das geschlossene System durch die Hand auf. Wir kombinieren also die Vorteile beider Methoden.

Ihr Vorlass wurde nun vom Land Niederösterreich für das Archiv der Zeitgenossen in Krems erworben. Wieso denn das? Sie sind doch Wiener.

Nein, meine Eltern stammen aus Hainburg an der Donau. Damals, im Zweiten Weltkrieg, gab es dort noch kein Spital. Daher bin ich 1942 in Wien geboren. Ich wuchs in Hainburg auf – und mein Elternhaus steht dort. In diesem Bürgerhaus befindet sich die älteste Synagoge Mitteleuropas.

Tatsächlich?

Ja. Es wurde x-mal umgebaut. Mein Vater hatte dort sein Atelier – er war Architekt. Ich wurde aufgefordert, das Haus zu sanieren, weil es schon recht verfallen war. Daher ließ ich es untersuchen. Das Mauerwerk ist zum Teil aus dem elften Jahrhundert. Jedenfalls: Bei der Eröffnung der Martin-Luther-Kirche, die ich geplant habe, vor drei Jahren in Hainburg war auch „mein Landeshauptmann“, wie man als Niederösterreicher sagen muss. Wir sind ins Gespräch gekommen. Und er hat sich verabschiedet mit: „Ich hab eine Idee.“ So kam es schließlich zum Ankauf.

War es Ihnen ein Anliegen, in Hainburg zu bauen?

Ich hatte schon einmal einen Wettbewerb gewonnen. Das Projekt für den Naturpark Donauauen wurde aber vom Naturschützer Bernd Lötsch verhindert. Die damaligen Fürsprecher haben die evangelische Kirche darauf aufmerksam gemacht, dass es einen Architekten gibt, der aus Hainburg stammt.

Was werden Sie im Kremser Mausoleum einlagern?

Zeichnungen, persönliche Dinge, Fotos – von 1968 bis heute. Für Modelle gibt es nicht viel Platz. Und es wird weiteres Material folgen. Irgendwie ist die Sache eigenartig. Adolf Krischanitz, der Architekt, hat im Archiv der Zeitgenossen quasi Gräber vorgesehen. Man kann nur hoffen, dass zwischen Vor- und Nachlass recht viel Zeit vergeht. Projekte hab’ ich genügend.

Copyright: Thomas Trenkler 2014

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